Pflegequalität sichtbar machen

Guido Faßbender ist als CQO (Chief Quality Officer) für die Qualitätspolitik der Linimed Gruppe zuständig. Im Interview spricht der gelernte Fachkrankenpfleger für Intensivpflege und Pflegewirt darüber, was er genau unter Pflegequalität und Qualitätsmanagement versteht. „In der außerklinischen Intensivpflege orientieren wir uns an den Pflegebedarfen, die aus der Erkrankung des Patienten entstanden sind. Dafür nutzen wir z.B. die spezielle Krankenbeobachtung und unser pflegefachliches Know-how.“

Herr Faßbender, Qualität ist ein Thema, dass die Pflege schon immer begleitet, aber sehr unterschiedlich definiert und umgesetzt wird. Warum ist das so?

Die Pflegeberufe sind sehr vielschichtig und verfolgen ganz unterschiedliche Ziele in den jeweiligen Settings. Uns Pflegende gibt es in der Alten- und Kinderkrankenpflege, im Krankenhaus, der Entwicklungshilfe, auf der Intensivstation, im OP, der ambulanten und stationären Pflege, in Behinderteneinrichtungen, im Arbeitsmedizinischen Dienst, als Auditoren beim MDK und in Behörden, als Berater in Pflegestützpunkten oder in der Entwicklung von Pflegeeinrichtungen auf kommunaler Ebene, bei Kranken- und Pflegekassen und öffentlichen Verwaltungen. Wir arbeiten in der direkten Pflege am Bett, in der Organisation und im Management der Pflegebranche, in Schulen und Weiterbildungsstätten und in der Politik. Für unseren Beruf gibt es zahlreiche Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und Studienrichtungen. Wir Pflegende sind in der Forschung und an Hochschulen und Universitäten präsent. Wer mag kann sich in der Pflege promovieren und/oder habilitieren und wissenschaftlich in Forschung und Lehre tätig sein.

Aus dieser Vielschichtigkeit wird deutlich, dass es „Die Pflege“ nicht gibt. Entsprechend existiert auch nicht die eine Pflegequalität.

Wie definieren Sie denn Pflegequalität für die Linimed Gruppe?

Die Qualitätsansprüche, die an uns gestellt werden, sind äußerst vielfältig und komplex. Sie ergeben sich unter anderem aus zahlreichen Gesetzen und Verordnungen, aus Verträgen und Vereinbarungen. Da sind wir nicht unbedingt frei in der Entscheidung. Ein kleines Beispiel ist die MDK-Prüfung und die Benotung durch die Pflegekassen. Hier ist unser Ziel grundsätzlich eine 1,0 in allen geprüften Bereichen.

Aber im Gegensatz zur Schulnote repräsentiert die 1,0 lediglich, dass die vertraglichen Vereinbarungen vollständig eingehalten sind und nicht mehr. Dieser Rahmen gilt als kleinster gemeinsamer Nenner für alle Bereiche, in denen wir Pflege anbieten. Wir sind aber in der Linimed Gruppe in unterschiedlichen Settings von Pflege tätig. Neben der ambulanten Hauskrankenpflege mit über 1500 Patienten, betreuen wir Kinder aus strukturschwachen sozialen Milieus, versorgen betagte Menschen in betreuten Wohnformen, bieten Demenzkranken einen fürsorglichen Lebensraum und versorgen Erwachsene und Kinder als Patienten der ambulanten Intensivpflege. Hier findet Pflege im eigenen Lebensumfeld, im Mehrfachwohnen oder in Wohngemeinschaften statt. Die Pflegebedarfe entstehen aus unterschiedlichen Lebenslagen heraus.

Was heißt das genau?

Pflegebedarf kann z.B. bei gesunden alten Menschen aus körperlicher Einschränkung der Skelettfunktion entstehen. Dann benötigt man z.B. Hilfe bei der Körperpflege und anderen Verrichtungen des täglichen Lebens. Demente Personen haben möglicherweise den Bedarf an tragfähigen Beziehungen, an individuellen Routinen und wiederkehrenden Handlungsanleitungen, um ihre Selbstständigkeit zu erhalten. Bei Kindern kommen entwicklungspädagogische Ansätze bei der Ermittlung von Pflegebedarfen zum Tragen.  

Was sind Pflegebedarfe in der ambulanten Intensivpflege?  

Bei der Intensivpflege entstehen Pflegebedarfe primär aus der jeweiligen Erkrankung und der Therapie. Das bedeutet, dass die Bedarfe aus Alter und aus Demenz gegebenenfalls ergänzend dazu kommen, aber im Vordergrund steht der Pflegebedarf aus der Erkrankung. Dem muss im Pflegeprozess Rechnung getragen werden. Unabdingbar sind die spezielle Krankenbeobachtung und das Wissen um Zusammenhänge von Erkrankung und Therapie. Mir geht es darum, unsere Pflegefachkräfte dafür zu sensibilisieren und unsere Kompetenzen als Organisationen diesem anspruchsvollen Setting kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Dort arbeiten ja nicht nur Fachpflegekräfte für Intensivpflege?

Richtig. Unsere Pflegefachkräfte haben unterschiedliche berufliche Hintergründe und Erfahrungen in unterschiedlichen Settings von Pflege. Von der stationären oder ambulanten Altenpflege, der Kinderpflege bis hin zum Krankenhaus. Und das ist auch gut so, weil es uns fachlich, methodisch und menschlich eine großartige Mischung bietet. Darauf bauen wir auf und vermitteln bzw. implementieren hier zusätzlich Wissen und die Strukturen, die wir für die ambulante Intensivpflege technologieabhängiger Menschen benötigen.

Können Sie das an einem praktischen Beispiel erläutern?

In unseren Pflegdiensten arbeiten verschiedenen Spezialisten der Pflege zusammen. Wenn tracheotomierte und/ oder beatmete Patienten in den ambulanten Bereich verlegt werden, dann ist das immer eine Verschiebung von Pflegebedarfen aus der Intensivstation in ein anderes Setting. Wenn die Intensivtherapie abgeschlossen ist, können diese Patienten ja nicht auf der Intensivstation wohnen bleiben. In dem Fall ziehen sie in die Häuslichkeit oder in eine unserer Wohngemeinschaften. Was liegt da näher als die Fachpflegekraft für Intensivpflege als Spezialisten auch im ambulanten Setting einzusetzen und die Erkenntnisse, deren Wissen und die Methoden der Intensivstation nutzbar zu machen? Das tun wir seit etwa fünf Jahren in vielen unserer Pflegediensten sehr erfolgreich.

Als fachliche Regionalleitungen beraten und begleiten diese Spezialisten die Pflegeteams auf Augenhöhe. Sie sind Sparringspartner im komplexen Feld aus Diagnosen und Therapie, sie vermitteln in mitarbeiterorientierten Trainings Methoden und Fähigkeiten in der speziellen Krankenbeobachtung und schaffen Sicherheit und Orientierung.

Zusätzlich haben wir mit der Linimed Akademie unseren eigenen Bildungsanbieter aufgebaut, um allen Pflegenden in der Linimed Gruppe eine fachliche Entwicklung in diesem Bereich zu ermöglichen. Neben den etablierten Weiterbildungen sind wir hier mit aktuellen Fortbildungsthemen präsent. Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung und Bildung sind damit unmittelbar verbunden und bedingen aus meiner Sicht einander.

Pflege ist eine Dienstleistung und kein Produkt im herkömmlichen Sinn. Kann man die Qualität trotzdem messen?

Natürlich. Eine Methode ist die so genannte „VISITE“, die wir gerade in verschiedenen Pflegediensten einführen. Hier werden konkrete Fälle und Patienten in einem übergreifenden Team besprochen. Mit dabei ist natürlich das jeweilige Pflegeteam, aber auch die fachliche Regionalleitung, Fachbereichsleitung bis hin zur Geschäftsführung. In dieser Runde stellen wir uns nur einer Frage: Gibt es etwas, dass wir strukturell, pflegerisch, medizinisch oder in der Betreuung anders machen können, um diesen Patienten besser oder noch besser zu versorgen? Müssen wir irgendwo schulen, irgendetwas messen, was können wir lernen und auf andere Patienten übertragen?

Also von der sozialwissenschaftlichen Methode ein qualitativer, patientenzentrierter Ansatz?

Ja, aber nicht nur. Natürlich wollen wir auch Daten in den Pflegediensten der Gruppe vergleichbar machen. Also Pflegenoten, Anzahl der Krankenhauseinweisungen, pflegerische Erfolge und Abläufe. Und daraus dann auch Handlungen ableiten, etwa Schulungen oder eine Umstellung von QM-Prozessen. Qualität soll messbar sein, um sie auch gestalten und übertragen zu können. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die beste Qualität in der außerklinischen Intensivpflege anzubieten. Da kann es kein Zufall sein, ob ein Patient gut versorgt wird oder eben nicht.

Vielen Dank für das Gespräch

Guido faßebender